Das Thema Recycling begleitet Henry Forster schon fast seit Beginn seines Berufslebens. Heute ist der 58-Jährige als Geschäftsführer der IAG – Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH, einer der größten Deponien Europas, tätig.
Am Rand des Städtchens Schönberg in Nordwestmecklenburg können über 500 verschiedene Abfallarten behandelt, verwertet, beseitigt oder gelagert werden. „Wir machen es uns nicht leicht mit dem Abfall. Behandlung und Verwertung stehen hoch im Kurs“, sagt Henry Forster. Am liebsten ist ihm jedoch, von vornherein so wenig wie möglich Abfälle zu erzeugen und für das, was zwangsläufig übrig bleibt, innovative Prozesse zu entwickeln, um wertvolle Ressourcen wieder dem Stoffkreislauf zuzuführen.
Diese Einstellung hat wiederum eine Menge mit den Erfahrungen seiner ersten fünf Berufsjahre zu tun. Der geborene Rüganer fuhr zur See. Als Kältemaschinist erlebte er die Dritte Welt, sah Länder in Südamerika und im Süden Afrikas. „Der Umgang mit Rohstoffen dort und auch die Armut der Menschen haben mich ziemlich geerdet.“ Weltoffenen und mit kritischem Blick auf den Ressourceneinsatz in Europa näherte sich der damals junge Mann eher unbewusst jener Branche, die seinen weiteren Werdegang, vor allem aber sein Ringen um neue Ideen einer bewussten, Ressourcen schonenden Welt prägen sollten. Nebenberuflich erwarb der junge Familienvater Anfang der 1990er-Jahre den Maschinenbaumeister. In seiner Heimat kam eine Goldgräberstimmung auf. Eine offene leitende Position bei der Nehlsen AG lockte ihn jedoch nach Bremen. Der berufliche Start in der Abfallbranche war vollzogen.
Stoffkreisläufe intensiver nutzen
„Es gibt weder Müll noch Abfall, sondern nur Rohstoffe am falschen Platz. Insbesondere in Europa fehlt uns die richtige Perspektive. Wir sehen Abfall aus dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr. Ob Müllverbrennungsanlagen oder Deponien – Abfall gilt als negativ belastet. Dabei lautet die eigentliche Frage doch: Was unterscheidet Abfall vom Produkt?“ Ginge es nach Henry Forster, sollte Müll aus Sicht rohstoffarmer Länder begriffen werden. „Wir als Industrie- und Exportnation verfügen nicht über Rohstoffe, wir müssen diese einführen. Dafür gehen wir unsagbar fahrlässig mit Rohstoffen um!“ Alles Geld reicht irgendwann nicht mehr, wenn die Nationen der reichen westlichen Welt zum Bittsteller werden müssen, weil sie ausnahmslos auf Primärrohstoffe setzen. „Wir müssen Rohstoffen nach ihrem Gebrauch den Kreislauf und eine neue Wertschöpfung ermöglichen. Und zwar in allen Bereichen.
Geredet wird darüber viel, Stichwort Nachhaltigkeit. Das sind aber bislang überwiegend Sonntagsreden“, ärgert sich Henry Forster über das, was nicht passiert. Er benennt ein weiteres Problem: Die Hoheit für die hiesige kommunale Abfall-entsorgung liegt bei den Landkreisen. Das sei zwar gut für die eigene Entscheidungsfindung, führe aber zu einer umstruk-turierten und unterschiedlichen Abfallwirtschaft in Deutsch-land. „Ich halte dieses Vorgehen in einer mobilen, sich ständig ändernden Gesellschaft nicht mehr für angemessen. So verpassen wir es, Ressourcen und Rohstoffe in Kreisläufe zurückzubekommen.“ Der Schwerpunkt liegt aber bei den Industrie- und Gewerbeabfällen, die über 90 Prozent ausmachen. Gewerbeabfallordnungen werden zwar ständig novelliert, der Vollzug aber scheitert. Warum? „Müll sucht sich immer den günstigsten Weg. Es besteht keine Andienungs-pflicht im Gewerbe- und Industriebereich.
Sortieren und Recycling sind in Europa oft teurer als Verbrennen und Deponieren. So lange ein solches Vorgehen nicht sanktioniert wird, kommen wir nicht voran.“ In Deutschland gebe es immerhin schon Fortschritte, weil das Deponieren unbehandelter Abfälle verboten ist. Dennoch bleibt die Frage, wie unter diesen Umständen eine Kreislaufwirtschaft Einzug halten soll. Nachholbedarf existiert in anderen Ländern Europas, wo man unkontrolliert und später nicht mehr recycelfähig deponiert. Pure Verschwendung, die sich schon lange niemand mehr leisten kann, schätzt der Experte ein.
Jeder erzeugt 176 Kilogramm Abfall im Jahr
Ein Blick auf die Abfallmengen lohnt sich und unterstreicht eindrucksvoll, um welche Dimensionen an potenziellen Rohstoffen es allein in Mecklenburg-Vorpommern geht. Nach Angaben des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie lag das Pro-Kopf-Aufkommen an Haus- und Geschäftsmüll im Jahr 2022 bei 176 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Tendenz im Vergleich zu den Vorjahren nahezu gleichbleibend. Gesunken ist hingegen die durch öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger 2021 getrennt erfasste Wertstoffmenge. Ihr Aufkommen belief sich auf 333.494 Tonnen und somit 205 Kilogramm pro Einwohner und Jahr. Erfreuliches vermeldet das Umweltbundesamt: Die Ablagerung (Deponierung) von Abfällen ging im Zeitraum von 2000 bis 2021 von 28,7 auf 16,1 Prozent des Abfallaufkommens zurück.
Nicht zu unterschätzen ist übrigens auch der „Müll-Tourismus“. Aus Mecklenburg-Vorpommern wurden 2022 rund 74.500 Tonnen notifizierungspflichtige Abfälle ins Ausland verbracht und damit 4,1 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Einfuhr weist für den gleichen Zeitraum insgesamt 77.493 Tonnen genehmigungspflichtige Abfälle aus anderen Staaten für die Entsorgung nach Mecklenburg-Vorpommern aus. Die importierte Abfallmenge war im Vergleich zum Jahr davor um 11,6 Prozent gestiegen.
„Solche Zahlen klingen natürlich relativ nüchtern. Besser vorstellbar sind Bilder von Altkleiderbergen, die wir in Dritte-Welt-Länder schicken. Gleiches gilt für Elektroschrott und mittlerweile auch für ausgediente PV-Anlagen. Selbst unbrauchbar gewordene Rotorblätter von Windkraftanlagen vermögen wir nicht zu recyceln“, weiß der Fachmann. Er provoziert mit der Frage, wie wir eigentlich leben – in unbändigem Konsumwahn. Das Greenwashing nimmt unhaltbare Ausmaße an. Dem Einhalt zu gebieten, räumt Henry Forster ein, sei für die Politik schwierig angesichts von Millionen Dienstleistungen und Produkten, die es zu überwachen gilt. Allein über das Bewusstsein der Menschen geht da derzeit auch noch nicht viel. „Wir müssen ehrlicher mit-einander umgehen!“ fordert er.
Mehr Aufmerksamkeit erzielen
„Eine tatsächliche Lenkungswirkung können wir entfalten, wenn wir beispielsweise Ampelsysteme wie bei Fleisch und Eiern einführen. An dieser Stelle eben mit Blick auf die Auswirkungen unserer Hinterlassenschaften für die Umwelt.“ Henry Forster glaubt schon noch daran, dass Menschen ihren ökologischen Fußabdruck bewusst wahrnehmen können und ebenso bewusste Entscheidungen hinsichtlich der Roh- und Wertstoffe zu treffen in der Lage sind. Er geht sogar so weit mit seiner Annahme, dass ein geringer Aufpreis wie beim Ökostrom möglich wäre.
Ein Stück weit ist Henry Forster ganz sicher Visionär. Er selbst packt die Dinge ausgesprochen pragmatisch an, findet Lösungen und teilt diese mit vielen in seiner Branche. Als gefragter Keynotespeaker ist der Präsident des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) oft unterwegs und wirbt dafür, Abfall nicht als Stiefkind zu behandeln. „Die Verantwortung dafür gehört nicht ins Umweltministerium, sondern muss beim Wirtschaftsressort angesiedelt sein. Es geht um Ressourcenwirtschaft!“ Seine Worte finden Gehör: in Ministerien auf Landesebene, in Branchenverbänden, aber eben auch in Gemeinden und Unternehmen im Umfeld der Ihlenberger Deponie. Seit drei Jahren ist der Experte dabei, die Sektorenkopplung neu zu denken – ganz im Sinne der Energiewende schiebt er die Schlüsseltechnologien zur Klimaneutralität an.
Herausforderungen vor der eigenen Haustür
„Ich zeige nicht gern woanders hin, sondern suche die Herausforderungen hier. Die Weiterentwicklung des eigenen Standortes zu einem Kompe-tenzzentrum für Umwelt, Energie und Kreislaufwirtschaft, also einem grünen Gewerbepark, ist eine Idee.“ Dabei spielt der Deponiebetrieb, der 130 Menschen Arbeit gibt, eine wichtige Rolle. 17.800 MWh Strom und 24.000 MWh Wärme entstehen durch Gasverwertung. 225 MWh Energie aus Photovoltaik speist die IAG direkt ins Netz ein. Selbst Biomasse ist ein Aspekt, den Henry Forster in seine Überlegungen einbezieht. Der Deponiechef plant sogar die Produktion von Wasserstoff. Eine Machbarkeitsstudie ist fast fertig. Der Standort, logistisch gut im Speckgürtel Lübecks und nahe der A20 gelegen, könnte sich als Schwerpunkt der Wasserstoffversorgung entwickeln. „Wasserstoff ist als Thema spannend und bei uns betriebs-wirtschaftlicher machbar als anderswo. Die bei der Elektrolyse entstehende Wärme soll vor Ort genutzt werden, der freigesetzte Sauerstoff steht für die Sickerwasseraufbereitung zur Verfügung. Mit der Hochschule Wismar suchen wir nach Lösungen, um Destillat aus Sickerwasser für die Wasserstoffproduktion einzusetzen. Das reduziert den Verbrauch von Trinkwasser“, so Henry Forster.
Die Lösungen vor Ort können ganz neue Impulse geben, das Bewusstsein der Bevölkerung doch nachhaltig zu stärken. „Ich sehe einfach erheblichen Nachholbedarf. Man stelle sich vor: 34 Jahre nach Einführung des gelben Sackes haben wir immer noch Aufklärungskampagnen nötig, wie das eigentlich funktioniert, sprich, was da wirklich reingehört oder eben nicht.“ Der Fachmann schüttelt den Kopf über so manche Lifestyle-Attitüden. „Wer meint, mit dem Kaffee-Becher aus Pappe umweltfreundlich unterwegs zu sein, der irrt. Dieser ist beschichtet und nicht recycelbar, der aus Plastik hingegen schon.“ Völlig unverständlich ist ihm, dass es in Mecklenburg-Vorpommern immer noch Regionen ohne Biotonne gibt. Deren Inhalte sind prädestiniert, um Biogas zu erzeugen und damit Erdgas zu substituieren. Gleichzeitig entsteht wertvoller Biodünger, um auf den Feldern neue Kreisläufe in Gang zu setzen
„Man spürt immer wieder, wie wenig wir selbst erreichen. Das gilt realistischerweise vor allem mit Blick auf die Dimensionen in anderen Teilen der Welt. Auf einer chinesischen Deponie kommt an einem einzigen Tag so viel an, wie eine Hausmülldeponie bei uns pro Jahr aufnimmt. Wir sind definitiv nicht der Mittelpunkt der Welt“, so Henry Forster. „Dennoch sollten wir endlich anfangen zu verstehen, dass Abfall alles andere als Müll ist.“
IAG - Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH
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