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Reallabor für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften

Jannis Deutschmann, einer der Initiatoren der Wir bauen Zukunft eG

Im ehemaligen Zukunftszentrum in Nieklitz entsteht seit mittlerweile acht Jahren ein Kompetenzzentrum für regeneratives Leben, Lernen, Arbeiten und Bauen, an dem sich viele Menschen aus ganz Deutschland beteiligen und das die Region in vielerlei Hinsicht bereichert.

Man kann schon mal daran vorbeifahren – so natürlich schmiegt sich das riesige Gelände südlich von Zarrentin in die Landschaft. Über der Einfahrt prangt das wabenförmige Schild mit der Aufschrift „Wir bauen Zukunft“. Und das wird wörtlich genommen, denn hier wird ein Zukunftsort aufgebaut, der nachhaltige Technologien und Praktiken erlebbar macht. „Wir verstehen uns als Reallabor für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, nachhaltiges Leben und Arbeiten“, erzählt Jannis Deutschmann. Er ist einer der Initiatoren der Genossenschaft „Wir bauen Zukunft“, die 2016 entstanden ist. Als Mitgründer des Berliner Netzwerks „Open State“, welches Unternehmen bei der Transformation zu einer kooperativen und nachhaltigen Wirtschaftsweise unterstützt, war er 2015 einer der Macher hinter dem „POC21“ Innovationscamp, das parallel zum 21. UN-Klimagipfel im französischen Millemont veranstaltet wurde. „Für fünf Wochen brachten wir 300 Maker*innen, Designer*innen, Ingenieur*innen und Innovator*innen an einem Ort zusammen, wo sie den Prototyp einer zukunftsfähigen Gemeinschaft lebten und kollaborativ an nachhaltigen Open Source Technologien für eine klima- und ressourcenschonende Zukunft forschten“, erklärt Jannis Deutschmann. „Das hat sehr viel mediale Aufmerksamkeit erregt und viele Menschen extrem bewegt. Umso schwerer war es, diesen Ort am Ende wieder aufzulösen.“

Jannis Deutschmann
Jannis Deutschmann, einer der Initiatoren der Genossenschaft Wir bauen Zukunft eG

Daraufhin wuchs im Team der Wunsch nach einem bleibenden Ort dieser Art. Den Stein ins Rollen brachte schließlich das erste deutsche Earthship-Projekt, welches zeitgleich im schwäbischen Tempelhof umgesetzt wurde. Dabei handelt es sich um ein aus recycelten Baustoffen bestehendes Gebäude, das nur durch die Energie der Sonne geheizt, durch Luftzirkulation gekühlt und schließlich energieautark bewohnt wird. „Schon während des Camps fand ein Austausch mit der dortigen Gruppe statt“, erzählt Jannis Deutschmann. „Aus dieser Gruppe kam auch der Hinweis auf den Ort Nieklitz. Gemeinsam starteten wir einen Konzeptions- und Visionsprozess, und arbeiteten heraus, wie wir dieses Gelände entwickeln können.“ Damals stand das Grundstück in Nieklitz schon fast drei Jahre leer. Der Biologieprofessor Berndt Heydemann hatte hier zwischen den Jahren 2000 und 2013 das Zukunftszentrum ZMTW zum Thema Bionik und Ökotechnologie betrieben. „Vieles war überwuchert, die Gebäude zum Teil geplündert, Scheiben eingeschlagen, Inventar weggeschleppt“, erinnert sich Jannis Deutschmann. „Trotzdem haben wir sofort das Potenzial dieses Ortes gesehen.“ Eine Genossenschaft wurde gegründet und das Gelände gekauft. Danach folgte viel Aufräum- und Pionierarbeit. Stück für Stück arbeitet sich die Genossenschaft mit Unterstützung vieler ehrenamtlicher Helfer*innen seither voran, veranstaltet Arbeitseinsätze, Innovationscamps, Seminare und Workshops zu verschiedenen Themen, die zur Philosophie der Projektgemeinschaft passen.

Neben einem großen Seminarhaus findet sich auf dem Gelände ein wabenförmiges Blumenhaus aus Glas, in dem eine Bar eingerichtet ist, die bei Veranstaltungen öffnet. Zehn Teiche sowie ein botanischer Garten gehören ebenfalls zum Grundstück. 500 Pflanzenarten sollen hier wachsen, die Schilder im Boden verraten noch die Namen von Schneekirsche, Zier-Johannisbeere und Stechpalme. Zu einigen Schildern sucht man die passenden Pflanzen jedoch vergeblich. 

Rigoros hat sich die Natur den Platz zurückerobert, das verdrängt, was vielleicht nicht hierher gehört. Stattdessen anderem Raum zum Wachsen gegeben. Dazwischen finden sich immer wieder Spuren des ehemaligen Zukunftszentrums, wie Modelle von Blüten oder den Flügeln von Insekten. Das ehemalige Gewächshaus ist heute das „Haus der Düfte“. Zwischen wildwachsenden Kletterrosen sind hier mit weißen Baldachinen überspannte, japanische Tatamimatten aufgebaut, die Schlafplätze für die Gäste bieten. Gerade fand das Pura Vida-Festival mit 600 Teilnehmenden auf dem Gelände statt, viele von ihnen haben auf den weitläufigen Grünflächen zwischen Bäumen und Sträuchern gezeltet. Für Kinder gibt es einen eigenen Kids Space unter großem Segeltuch, ausgestattet mit Spielhütte, viel Sand zum Buddeln und allerlei Mobiliar aus Holz. Nicht weit davon entfernt finden sich die solarbetriebenen Outdoor-Duschen. Verstreut auf dem Gelände stößt man außerdem auf verschiedene Unterkünfte wie Jurten oder Tiny Houses.

Das 10 Hektar großes Gelände in Westmecklenburg, eingebettet zwischen Hamburg und Schwerin, bietet reichlich Raum zum Träumen, Flanieren und Experimentieren. Copyright: Wir bauen Zukunft eG

Diese sollen hier bald noch eine größere Rolle spielen, denn eine Tiny House-Forschungssiedlung ist geplant. „Tiny Ville“ soll sie heißen. Zum einen sollen hier die verschiedenen Systeme getestet und optimiert werden, zum anderen bekommen Menschen die Möglichkeit, das Leben in kleinen Häusern hier auf dem Land in Ruhe auszuprobieren und herauszufinden, was es eigentlich zum Glücklichsein braucht. „Wir wollen aufzeigen, wie wir wieder mehr in Einklang mit natürlichen Prinzipen leben und von der Natur lernen können“, sagt Jannis Deutschmann. „Dafür machen wir einen Entwurf, wie ein Leben innerhalb planetarer Grenzen möglich ist und wie eine Gesellschaft das gemeinsam schaffen kann. Damit wirken wir in der Region, entwickeln mit unseren innovativen Projekten aber auch eine Strahlkraft für die ganze Welt“, so Jannis Deutschmann, der zuerst im Vorstand der Genossenschaft aktiv war und inzwischen im Bereich Beratung und Regionalentwicklung tätig ist.  Während der Corona-Pandemie hat er den Schritt von Berlin aufs Land gewagt. „Damals stand die Frage nach dem Schulort für unsere Tochter an“, erzählt er. „Da haben wir uns schließlich für die Region hier entschieden.“ Zwei Jahre lebte er mit Frau und Kind auf dem Gelände, schließlich zogen sie in eine Wohnung in einem kleinen Dorf, 10 Minuten entfernt. Wie er sind inzwischen an die 50 Menschen, die mit dem Projekt in Zusammenhang stehen, in die Region gezogen. „Das Gelände ist unser Knotenpunkt, wirkt wie ein Magnet. Hier laufen die Fäden zusammen.“

Beispiel Tiny--Haus
In Nieklitz werden unterschiedliche Unterkünfte, wie zum Beispiel Tiny-Häuser, für die Besucher und Gäste angeboten. Copyright: Wir bauen Zukunft eG

Der Event-Betrieb ist ein wichtiges Geschäftsmodell der Genossenschaft. Veranstaltungen von 2 bis zu 700 Menschen können hier gehostet werden – für Workshops, Konferenzen, Feste und Businessveranstaltungen. Dazu kommen Ausgründungen der Genossenschaftsmitglieder, die sich hier niedergelassen haben. Im Dorf Nieklitz ist eine Werkhalle für den Bau von Tiny-Häusern entstanden. Aurèle Haupt, einer der Mitbegründer der Genossenschaft, hat hier sein Unternehmen „Hauptsache Tiny“ gegründet und baut Tiny-Häuser auf Bestellung. Bei der Auftaktveranstaltung des Netzwerks Landvorteil e. V. Anfang Juli 2024 stellte er die gemeinwohlorientierten Ansätze seines Unternehmens vor. Auch die Genossenschaft „Wir bauen Zukunft“ ist Mitglied in dem kooperativen Netzwerk aus Akteuren aus Forschung, Bildung, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft, dessen Ziel es ist, zukunftsfähige Lebens- und Arbeitskonzepte sowie soziale Innovationen in ländlichen Gebieten Norddeutschlands zu erforschen, zu entwickeln und zu erproben. Der Trägerverein ist ein Zusammenschluss der Wirtschaftsförderungen der Landkreise Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein und Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern.

„Die Welten rücken zusammen“, sagt Jannis Deutschmann. „Vor ein paar Jahren waren wir hier noch die Exoten, mittlerweile können wir die Region in Gremien und Partnerschaften mitentwickeln und unsere Kompetenzen einfließen lassen.“ Etwa bei Konferenzen zum Nachhaltigen Bauen oder bei Workshops für Kommunen und Akteure der Verwaltung zu Genehmigungsprozessen für Tiny Houses und ähnliche Wohnbauten. Auch das Earthship soll irgendwann an diesem Ort entstehen. „Mit diesem Leuchtturm als Beispiel für regenerative Zukunftsgestaltung wird sich auch der Kreis unserer Projektentstehung schließen.“

Wir bauen Zukunft eG

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