Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, von dem nicht nur das Hotel- und Gaststättengewerbe, Privatvermieter, Verkehrsunternehmen und Reiseveranstalter profitieren, sondern auch Wirtschaftsbereiche wie der Einzelhandel und der Dienstleistungssektor.
Der Tourismusverband Mecklenburg-Schwerin e.V. übernimmt seit mehr als 30 Jahren die Rolle des Tourismusentwicklers für die Region Westmecklenburg, insbesondere für den Landkreis Ludwigslust-Parchim und in enger Zusammenarbeit mit der Stadtmarketing-Gesellschaft Schwerin mbH. Im Fokus stehen dabei Gremien-, Netzwerk- und Lobbyarbeit im Sinne der touristischen Regionalentwicklung, die immer mehr in Richtung Lebensraummanagement tendiert sowie die Vermarktung Mecklenburg-Schwerins als Urlaubsregion. Die Geschäftsstelle des Verbands übernimmt damit die Rolle einer Destinationsmanagementorganisation, fungiert als Kümmerer und Netzwerker und ist in den wichtigsten Gremien, die sich der regionalen Entwicklung widmen, beratend vertreten. Martina Müller ist seit 2008 Geschäftsführerin der Stadtmarketing-Gesellschaft Schwerin und seit 2020 gleichzeitig Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Mecklenburg-Schwerin. Im Interview spricht sie über die Entwicklungen und Herausforderungen im Tourismus.
Wie hat sich Ihre Branche im Verbandsgebiet in den vergangenen Jahren entwickelt?
Es sind zahlreiche Partnernetzwerke entstanden, die wir in unsere Projektarbeit einbinden können. Darüber hinaus vollzieht sich seit mehreren Jahren ein Generationswechsel, mit dem wir umgehen müssen. Altersbedingte Schließungen von touristischen Ein-richtungen, insbesondere in der Gastronomie, sind keine Seltenheit. Die Corona-Pandemie und der Wechsel von Arbeitskräften in andere Branchen sowie die Energiekrise haben ebenfalls dazu beigetragen. Andererseits hat sich die Infrastruktur deutlich verbessert. Dazu zähle ich unter anderem den Ausbau der Nord-Süd-Autobahn A14 und des Radwegenetzes. In Schwerin hat sich mit der Bundesgartenschau 2009 sehr vieles gut entwickelt. Städtebaulich gab es die Öffnung zum Wasser – Promenaden und Plätze laden jetzt direkt am Ufer des Schweriner Sees zum Verweilen ein. In der Region sind neue Anbieter, wie zum Beispiel Texas MV, Elephant Gin und das in Planung befindliche Wittenburg Village hinzugekommen. Aber auch kleinere Angebote wie die Schaalsee-Safari oder die gastgewerbliche Entwicklung in Plau bereichern die touristische Vielfalt der Region. Mit Blick auf das Gästeverhalten registrieren wir eine längere Aufenthaltsdauer, kurzfristigere Buchungen, die Zunahme von Wochenend- und Städtereisen sowie ein wachsendes Interesse am Aktivurlaub in
der Natur.
Wie würden Sie einer imaginären Familie auf dem Bahnhof in Düsseldorf einen Aufenthalt in Westmecklenburg anpreisen?
Stellt euch einen Ort abseits von hupenden Autos, Termindruck, Stress und schlechter Luft vor. Einen Ort mit urigen Fachwerk-häusern und rapsgelben Feldern. Duftend nach Wildkräutern und moosbedecktem Waldboden, die Rufe von Fischadlern und das Summen der Bienen im Ohr. All diese wunderbaren Orte und Momente, an denen die Zeit für einen Augenblick stillsteht. Das ist Draußenglück! Bei uns in Mecklenburg-Schwerin findet ihr es.
Konnten Sie die Familie überzeugen?
Ja. Denn wir sprechen gezielt „gestresste“ Großstädter in den Hauptquellgebieten Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen an. Ebenso gerne reisen Gäste aus den Metropolen Hamburg und Berlin in unsere Region, gefolgt von Gästen aus Mecklenburg-Vorpommern, die gern Urlaub im eigenen Land machen. Das hat eine Gästebefragung ergeben, die der Landestourismusverband für 2022/2023 in Auftrag gegeben hat. Der Anteil der Gäste aus Hamburg ist bei uns in der Region im Vergleich zum gesamten Bundesland mit 4,8 % mehr als doppelt so hoch. Die Gäste bleiben durchschnittlich 6,4 Nächte und das Durchschnittsalter beträgt 55,8 Jahre. Als entscheidende Reisekriterien für Mecklenburg-Vorpommern insgesamt werden von 73,6 % der Befragten Natur und Landschaft genannt. Ähnlich verhält es sich mit dem Faktor Ruhe und Erholung. Zu uns kommen auch die aktiven Genießer, die ihren Fokus auf Kultur und Genuss legen. Unsere Region Mecklenburg-Schwerin ist somit eine perfekte Urlaubsregion: abseits vom Trubel an überfüllten Stränden und Großstädten, mit viel Wasser, Natur und Kultur!
Zu den Aufgaben des Verbandes gehört auch die Netzwerkarbeit. Welches Beispiel können Sie dafür nennen?
Ein gutes Beispiel ist Kurs Elbe 4.0. Dieses Netzwerk mit sechs Partnern ist ursprünglich aus einem Leitprojekt der Metropolregion Hamburg entstanden. Ziele des Projekts sind die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die touristische Entwicklung auf dem Flussabschnitt zwischen Hamburg und Wittenberge sowie die Entwicklung übergreifender, vermarktungsfähiger touristischer Produkte. Hierzu gehören weiterhin die Personenschifffahrt und die Verknüpfung bereits vorhandener Angebote. Mit der Web-App Enni’s Elbe-Abenteuer wurde ein digitales Angebot für Familien mit Kindern geschaffen, um die Region interaktiv und spielerisch vor Ort zu erleben. Mehr als 200 kleine Mikroabenteuer sorgen für spannende Unterhaltung während des nächsten Familienausflugs. Ergänzt werden die Erlebnisse durch Wissenshäppchen zu der Region und kurze Hörgeschichten mit Enni, dem kleinen Wassertropfen.
Mit welchen Projekten beschäftigt sich der Verband momentan?
Innerhalb des Umsetzungsmanagements unserer regionalen Tourismusstrategie beschäftigen wir uns derzeit mit dem Projekt „Schlösser, Kultur und Genuss“. Dabei besteht das Ziel darin, thematische Erlebnisrouten zu konzipieren, die kleinere Erlebnisräume miteinander verbinden. Im Fokus steht die Entwicklung einer Schlosserlebnis- und Genussroute insbesondere für Radfahrer. Mit einem anderen Projekt „Kunst-Erlebnis-Natur“ wollen wir ein neues freizeittouristisches Angebot für Familien in der Natur konzipieren, die regionalen Anbieter weiter vernetzen sowie die Attraktivität der Region und somit die lokale Wertschöpfung steigern. Seit etwa drei Jahren läuft das interregionale und interkommunale Tourismusprojekt „S³ – Se(h)en – Shopping – Spaß“. Ziel ist es, die Potenziale der Gesamtregion sowie der einzelnen Ämter und Städte herauszuarbeiten. Die Themen wurden in Schlüsselprojekte zusammengefasst, die sich mit dem Umsetzungsmanagement, der touristischen Infrastrukturentwicklung, der Angebotsentwicklung und ein-heitlichen Vermarktung beschäftigen. Die zahlreichen Schlüsselprojekte wie der Aufbau der interkommunalen Arbeitsgemeinschaft, die Einrichtung einer einheitlichen Marktforschung, ein übergeordnetes Radwegesystem und die Steuerung der Bestandsentwicklung der übergreifenden Infrastruktur wurden auf den Weg gebracht. 2024 liegt der Fokus auf der Optimierung der Website, den Themenrouten sowie einer KI-Kampagne zum Thema „Draußenglück“. In der Planung befindet sich gerade die Manufaktur-Route 2.0.
Ende Juli 2024 hat die UNESCO das Residenzensemble Schwerin in das Weltkulturerbe aufgenommen. Das ist eine große Ehre für die Stadt und zugleich eine Verpflichtung, behutsam mit den insgesamt 38 historischen Gebäuden und landschaftlichen Anlagen im Innenstadtbereich Schwerins umzugehen. Wir werden daher unter diesem neuen Vorzeichen alle Projekte noch einmal auf den Prüfstand stellen und ein nachhaltiges Tourismuskonzept entwickeln.
Welches Credo begleitet Sie durch den Tag?
Geht nicht – gibt es nicht! Es geht mir immer darum, kreativ gute Lösungen für jegliche Situation und Herausforderung zu finden. Dabei habe ich gelernt, immer auch die Perspektive der anderen Seite zu betrachten. Ich habe ein hochmotiviertes Team. Uns allen macht die Arbeit enorm Spaß, wir sehen recht schnell Ergebnisse und jeder kann sich aktiv einbringen. Wir können sehr viele praktische Dinge initiieren und umsetzen und dazu beitragen, dass sich Mecklenburg-Schwerin ganzheitlich entwickelt. Unsere Region hat enormes Potenzial, benötigt aber künftig deutlich mehr Unterstützung, um das Binnenland voranzubringen: sei es die Infrastruktur, Produktentwicklung, Digitalisierung oder Erreichbarkeit.
Über Martina Müller
Die gebürtige Schwerinerin ist 56 Jahre alt, verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Als gelernte Datenverarbeitungskauffrau und studierte Pädagogin machte sie ihr Hobby zum Beruf und war mit 19 Jahren die jüngste künstlerische Leiterin eines Bezirksmusikkorps in der DDR. Mit der Wende ging sie nach Schleswig-Holstein. Dort arbeitete sie nach einer kaufmännischen Umschulung viele Jahre in einer Industrievertretung, leitete den Aufbau der Tochterfirma in Mecklenburg-Vorpommern und war danach Gebietsleiterin für Hamburg und Schleswig-Holstein. Ende der 90er-Jahre zog es sie und ihre Familie nach Schwerin zurück und Müller wechselte in den Vertrieb eines großen deutschen Medizinprodukteunternehmens. Gesundheitliche Gründe führten dazu, sich beruflich neu zu orientieren. Nach dem Abschluss zur Touristikkauffrau ist Martina Müller seit 2008 Geschäftsführerin der Stadtmarketing Gesellschaft Schwerin mbH und seit Ende 2020 gleichzeitig Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Mecklenburg-Schwerin e. V.