Als Netzwerkmanager des automotive-mv e. V. präsentiert Dr. Andreas Vietinghoff gern Best-Practice-Beispiele aus den Reihen seiner Mitgliedsunternehmen, da sie die Innovationsstärke der Automobilindustrie deutlich widerspiegeln und zur Nachnutzung anregen sollen. Er holt aber auch Experten zu aktuellen Themen in die Facharbeitskreise des Verbandes und gibt den Mitgliedern Unterstützung bei den Transformationsaktivitäten in den Bereichen Technologietransfer, Nachhaltigkeit und Mitarbeiterentwicklung. Netzwerken, koordinieren und den Blick aufs Ganze behalten gehören zu seinen Stärken. Im Interview spricht er über die Entwicklung der Automobilwirtschaft und die künftigen Herausforderungen.
Wie hat sich die Branche in den vergangenen zehn Jahren in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt?
Die Automobilzulieferindustrie ist eine der industriellen Wertschöpfungskerne in unserem Bundesland. Sie hat sich in den vergangenen zehn Jahren stetig weiterentwickelt. In diesem Zeitraum wurden etwa 500 Mitarbeitende eingestellt und der Umsatz stieg trotz einiger Krisenjahre, verursacht durch Corona, Lieferkettenengpässe und die Energiekrise, um rund 20Prozent auf etwa 1,7 Mrd. Euro. Besonders hervorzuheben ist, dass die Branche laufend ihre Innovationsfähigkeit steigert. Dafür investierten die Mitgliedsunternehmen des automotive-mv e.V. im betrachteten Zeitraum rund 250 Mio. Euro in neue Technologien und die Produktionsinfrastruktur. Ziel ist es, die industrielle Wertschöpfung und Beschäftigung im Land zu sichern und weiter auszubauen.
Wie ist die Automobilwirtschaft im Nordosten Deutschlands derzeit aufgestellt?
Mecklenburg-Vorpommern ist ein im bundesdeutschen Vergleich strukturschwaches Bundesland mit unterdurchschnittlicher industrieller Wertschöpfung und besonderen demografischen Herausforderungen. Diesen Umständen zum Trotz hat sich hier in den vergangenen 30 Jahren eine hochleistungsfähige Fahrzeugzulieferindustrie herausgebildet, die sich mit Ausnahme der Krisenjahre 2008/09 und 2020 bis 2022 durchgängig auf Wachstumskurs befand. Die Automobilzulieferbranche ist bei uns heterogen strukturiert. Während drei große Unternehmen über 500 Mitarbeitende aufweisen, hat die Mehrzahl von 75 Prozent der befragten Unternehmen weniger als 100 Beschäftigte, darunter 38 Prozent nur bis zu 50 Beschäftigte. Die Branche hat in ganz Mecklenburg-Vorpommern etwa 5.500 Beschäftigte und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund 1,7 Mrd. Euro.
Welche Leuchttürme besitzen eine besondere Leuchtkraft?
Zu den großen Playern gehören vier global tätige Top-100-Zulieferunternehmen, welche bedeutende Produktionswerke in Mecklenburg-Vorpommern betreiben. Das sind die Konzerne ZF Friedrichshafen AG (Platz 4 weltweit) in Rostock-Laage, Valeo (Platz 10) und Webasto SE (Platz 66) in Neubrandenburg sowie die Lear Corp. GmbH (Platz 14) in Wismar. Die Lear Corp. GmbH ist einer der Marktführer in der Herstellung von Kunststoffsteckverbindern für verschiedenste automotive-Anwendungen. Das Werk in Wismar beschäftigt über 250 Mitarbeitende und setzt mit seiner innovativen 2- und 3-Komponenten Spritzgießtechnologie höchste Anforderungen der internationalen Automobilindustrie um. An den hocheffizienten Anlagen werden täglich etwa 1,2 Millionen Kunststoffteile produziert. Nennen möchte ich auch die Gummifabrik Lubeca GmbH & Co. KG in Upahl. Sie ist ein hochspezialisierter Produzent von Elastomeren und Gummiformteilen für verschiedene Anwendungen im Automobil. Bis zu 30 Millionen Dämpfungselemente, die beispielsweise beim Elektronischen Stabilitätsprogramm ESP und dem Antiblockiersystem ABS zum Einsatz kommen, und Gummi-Metall-Verbindungen werden nach hochspezifischen Material- und Qualitätsanforderungen jährlich auf vollautomatisierten Anlagen produziert.
Mit welchen Partnern in der Region arbeiten Sie zusammen?
Neben der intensiven brancheninternen Zusammenarbeit kooperiert der automotive-mv e. V. insbesondere mit heimischen Kompetenzpartnern aus den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie industriespezifische Beratung und Weiterbildung. Hervorzuheben sind hier die Universität Rostock und das Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik IGP in Rostock sowie der REFA-Landesverband M-V e. V. als spezialisierter Kompetenzpartner für Personalentwicklung und industrielle Prozessoptimierung. Weitere Partner sind die Hochschulen in Wismar, Stralsund und Neubrandenburg sowie Technologie-Kompetenzpartner, wie zum Beispiel die Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt in Rostock.
Welche großen Herausforderungen müssen künftig gemeistert werden?
Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung heißen die technologischen Mobilitätstrends. Ihre Realisierung in zuverlässigen und marktfähigen Produkten und Leistungen wird in den kommenden Jahren einen enormen Kraftaufwand in der Branche erfordern. Die Energie- und Mobilitätswende und der damit verbundene Transformationsprozess in der Industrie werden auch die heimische Automobilzulieferindustrie vor große Herausforderungen stellen. Insbesondere in der Autoindustrie fordern die technologischen Trends wie E-Mobilität, autonomes Fahren, Konnektivität und neue Mobilitätsgeschäftsmodelle hohe Innovationsanstrengungen. Diese müssen in einem aktuell nicht vorteilhaften Wettbewerbsumfeld realisiert werden – die Kosten für Material, Energie und Arbeit sind zu hoch. Dieser Nachteil wirkt deshalb gravierend, weil unsere Unternehmen im Wettbewerb mit Produzenten aus Osteuropa, Asien und Amerika stehen. Eine besondere Herausforderung ist es, auch künftig Nachwuchs für anspruchsvolle Tätigkeitsfelder in der der Industrie zu gewinnen – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da der Wohlstand Deutschland vor allem von seinem Erfolg als Industrie- und Exportland abhängt.
Wie können die Maßnahmen finanziert werden?
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, müssen enorme Summen in innovative Produktionstechnologien, in die Prozessdigitalisierung, nachhaltige Produktion und die Weiterbildung der Mitarbeitenden investiert werden. Die dafür notwenigen Mittel können nur im täglichen Geschäft unter globalen Wettbewerbsbedingungen erwirtschaftet werden. Das ist in Zeiten multipler Krisen eine besondere Herausforderung, zumal der Wirtschaftsstandort verstärkt mit Wettbewerbsnachteilen auf der Kostenseite zu kämpfen hat. Trotz dieser Herausforderungen wird die Branche bei ihren großen Vorhaben vom Land Mecklenburg-Vorpommern zuverlässig unterstützt, insbesondere durch die Förderung von Investitions- und Innovationsvorhaben.
Mit welchen Maßnahmen und Strategien geht die Branche in die Zukunft?
Der automotive-mv e. V. ist Konsortialführer im Transformationsprojekt AutoTrans-MV. Gemeinsam mit den Partnern Universität Rostock, Lehrstuhl Fertigungstechnik und dem REFA-Landesverband M-V e. V. wurde eine regionale Transformationsstrategie erarbeitet, die ausgehend von einer Branchenanalyse die wichtigsten Zielstellungen und strategischen Handlungsschwerpunkte festgelegt hat. Ziel ist es, leistungsfähige Transferstrukturen im Land zu etablieren, die den Wandel in der Zulieferindustrie wirkungsvoll unterstützen werden. Eine wichtige Maßnahme ist zum Beispiel der schon begonnene Aufbau einer Transformation Academy zur Unterstützung der transformationsbegleitenden Kompetenzentwicklung. Der automotive-mv e. V. arbeitet darüber hinaus im Strategierat Wirtschaft-Wissenschaft des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit und koordiniert dort mit anderen Branchen und der regionalen Wissenschaft die Bemühungen, die Innovationskraft der heimischen Wirtschaft zu stärken.
Der automotive-mv e.V. in Zahlen:
- 21 Mitgliedsunternehmen
- ca. 3.700 Beschäftigte
- ca. 180 Auszubildende
- ca. 1,2 Mrd. Euro Jahresumsatz
Dr. Andreas Vietinghoff
- geboren 1966 in Rostock
- verheiratet, 2 Kinder
- Studium Lehramt an der Universität Rostock mit Staatsexamen
- nach dem Studium Tätigkeit als Lehrer
- Wechsel in die Wirtschaft
- Führungsaufgaben im Personalmanagement in drei regionalen Unternehmen
- seit 2009 Netzwerkmanager im automotive-mv e. V.
automotive-mv e.V.
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